Montag, 9. Juli 2018

zweite rolle

An einem Punkt vor einiger Zeit habe ich realisiert, dass sie immer meine erste Wahl war. Mir kamen Momente in den Sinn, in denen ich mich selbst zurückstellte und mich von ihr einnehmen ließ.
Sie lebt in Extremen. Sie ist wild und unabhängig und tut. Sie tut Dinge, auch wenn sie sich der negativen Konsequenzen bewusst ist.
Ich habe ihre Art zu leben immer beneidet. Ich war fasziniert und beeindruckt. Sie war immer so eine starke Persönlichkeit für mich und ich wollte so sein wie sie. Ihre Geschichten und Erzählungen waren wie ein spannender Film für mich und ich fühlte mich so geehrt, dass ich ein Teil davon sein durfte, dass sie mich als Auserwählte an sich heran ließ und mir ihre Geheimnisse und Gefühle anvertraute.
Ich sah zu ihr auf und eiferte ihr nach. Ich sagte zu allem ja, ich wollte genauso leben. Ich wollte das alles auch erleben.
Und so kamen wir uns immer näher.
Während ich mit 16 meinen ersten Kuss hatte, erzählte sie mit 15 von ihrem ersten Mal.
Ich bekam die Diagnose Depression und sie wurde eingewiesen in eine Klinik und hatte Borderline.
Ich begann eine komplizierte Beziehung voller Zweifel und sie wickelte alle Jungs um ihre Finger, ließ niemanden von Haken und beschreibt sich selbst als Syräne (als ein Meerjungfrau-ähnliches Wesen, das Seemännee mit ihrem Gesang hypnotisierte und ins Meer zog).
Sie war immer schneller, weiter, höher, extremer. Und das wusste sie.
Lange lange Zeit habe ich mich wie eine zweite unwichtige Hauptrolle in meinem eigenen Leben gefühlt.
Wenn ich krank wurde oder mich zurückzog, weil ich verletzt war, drehte sie den Spieß um und ich fühlte mich schuldig. Dieses schlechte Gewissen für mein Verhalten und meine vermeintlichen Fehler wurde zu einem roten Faden in unserer Freundschaft.
Sie war auffällig. Hatte bunte, rasierte Haare. Ein starkes Auftreten. Alle Augen waren immer auf sie gerichtet und sie suhlte sich in der Aufmerksamkeit.
Sie war einfach die perfekte Freundin, die Loyalität hochpreiste und neben der ich mich besonders fühlte.
Ich besuchte sie, wenn sie krank war und kochte ihr Suppe. Ich versuchte ihr damals all das zu geben, das sie bei anderen Freunden misste. Ich gab ihr all das, was ihr ihre anderen Freunde nicht gaben, ich gab ihr all das, wovon ich dachte, würde mich zur perfekten Freundin an ihrer Seite machen.
Und es gelang. Wir hatten so eine.unbeschreiblich außergewöhnliche extreme Zeit zusammen. Wir haben zusammen Dinge in zwei Jahren erlebt, die die meisten Menschen.nicht nach 10 Jahren Freundschaft erlebten.
Ich weiß gar nicht, wann der Punkt kam, an dem ich realisierte, dass ich mich so nach ihr richtete. Dass sie und ihr Leiden mich so einnahmen, dass ich mich selbst und meine Probleme als unwichter wertete.
Einmal sagte jemand in einem Film: “Ich sah immer zu ihr auf, was aber nur bedeutet, dass sie auf mich herabsah“. Und ich will nicht leugnen, dass ich für sie ein wichtiger Bestandteil ihres Lebens wurde und sie mich wertschätzt, doch dieser Satz lässt mich nicht in Ruhe.
Mir fallen immer mehr Situationen in der Vergangenheit ein, in denen ich mich sehr schuldig gefühlt hatte wegen etwas, das eigentlich gar nicht meine Schuld war.
Mir fallen Sätze ein, bei denen ich mir jetzt bewusst werde, wie verunsichernd sie damals für mich waren.
Ich erinnere mich daran, dass ich ihr von meinem aller ersten Kuss berichtete und total außer mir war, da ich damals noch extrem schüchtern war und so eine Sache ja immer sehr aufregend war. Und nach einer langen detaillierten Erzählung merkte ich, wie ihre Begeisterung abfiel, als sich am Ende herausstellte, dass es nichts mehr als ein Kuss auf, worauf ich so lange hingearbeitet hatte mit meinem Bericht. Und aus der Verunsicherung heraus entschuldigte ich mich und meinte, dass ich jetzt alles wirklich zu detailliert erzählt hatte und sie stimmte mir zu und berichtete im nächsten Atemzug dann von ihren ersten Mal, was natürlich eine viel größere und spannendere Sache war. Aber nein, sie erzählte nicht wild drauf los wie eine Jungfrau, sondern nahm es ganz cool und gab nur wenig Information darüber Preis.
Ich erinnere mich, dass wir letztes Jahr spontan abends ausgingen und ich mich aus Lust und Laune heraus ein bisschen herausgeputzt hatte. Und das erste Mal seit Beginn der Freundschaft hatte ich an diesem Abend ungewohnt mehr Aufmerksamkeit als sie erhalten.
In Nachhinein meinte ich begeistert, dass der Abend total Spaß gemacht hatte, worauf sie meinte, dass es vielleicht für mich lustig und nett war, für sie jedoch langweilig, was unter anderem daran lag, dass ich mich viel mit einem Typen unterhalten hatte und sie für 10 Min kein Teil des Gespräches war.

Sie meinte irgendwann mal, dass sie keine Geschenke mehr für irgendjemanden kaufen wollte an Geburtstagen, weil es immer mit einer Erwartungshaltung verbunden war und es sie nur stresste. Sie meinte auch, das sie keine Geschenke mehr erwarte und das war die Wahrheit. Dennoch war ich eine Person, die gerne eine kleine Aufmerksamkeit schenken wollte... einfach so.
Deshalb brachte ich ihr dennoch an ihrem Geburtstag entweder ein kleines Geschenk oder ließ ihr eine Rose da, wenn wir uns an dem Tag mal nicht treffen konnten.
Ich habe seitdem kein Geschenk mehr von ihr erhalten. Obwohl ich mir andauernd anhörte, welche Dinge sie für den Geburtstag ihres Freundes plante.

Ich lebe außerdem seit 1 1/2 Jahren nun alleine. Es ist meine erste eigene Wohnung, meine ersten Schritte in die Selbstständigkeit und in diesen 1 1/2 Jahren war sie einmal zur Einweihungsfeier da und einmal zum Kuchen backen.. für 3h.
Als ich sie darauf ansprach, dass ich das wirklich sehr schade finde und dass es mir sehr wichtig wäre und mir viel bedeuten würde, dass sie auch mal vorbeikäme, meinte sie, dass es absolut keine Absicht war und sie mich gerne besuchen würde und es bisher einfach praktischer war sich bei ihr zu treffen, da sie zentraler wohnte als ich.
Als sie mir das so sagte, war es total legitim für mich, doch ich war einfach wieder in ihrem Bann. Ihr Freund wohnte bis vor zwei Monaten noch 2 Min von meiner Wohnung entfernt und ich bekam mit, dass sie mindestens alle zwei Wochen dort übernachtete oder einmal die Woche zumindest von Früh bis Spät dort verbrachte.
Und das verletzt mich. Klar, dass ein Freund einen anderen Stellenwert hat, doch ich konnte nicht verstehen, wieso ihre Besuche nie zustande kommen wollten.

Jetzt vor einigen Wochen waren wir zu dritt des öfteren mal abends unterwegs und es endete immer auf dieselbe Weise. Eine von den beiden bekam aus irgendeinem Grund schlechte Stimmung, ich bemerkte jedes Mal, wie sie sich etwas zuflüsterten und dann beschlossen zu gehen.
Und was sollte ich komplett allein in einer Bar oder auf einem fremden Geburtstag tun? Also ging ich immer mit.
Das letzte Treffen, das so endete, machte mich rasend vor Wut und das zeigte ich durch Distanz und Ignorieren. Ich hasste es, dass ich so außen vor gelassen wurde und dass es ständig irgendwas gab, das schlechte Stimmung verbreiten musste.
Ich verbrachte den Abend mit zwei anderen Personen, die ich kaum ohne Alkohol aushalten konnte.
Am nächsten Tag war sie wütend auf mich, dass ich so scheinbar grundlos distanziert war und ich fühlte mich schuldig, doch dieses Mal ließ ich mich davon nicht unterkriegen und sagte meine Meinung und widerstand ihrem unbewussten oder bewussten Einfluss auf mich.
Und seitdem waren wir abends auch nicht mehr unterwegs.
Wir haben uns jetzt seit einem Monat knapp gar nicht getroffen, da ihr Freund in der Klinik gelandet ist, eine Alkoholabhängkeit aufwies und die Wochenende für ihn reserviert waren, da er dann wieder nach Hause kommen durfte. Und unter der Woche hatte ich kaum Zeit wegen der Arbeit und der Fahrschule.
Ich kann nicht sagen, dass dieser Einfluss auf mich komplett verschwunden ist und ich mich von Schuldgefühlen lösen kann. Ich weiß auch nicht, wie lange diese Freundschaft noch nach diesem Bewusstsein und Realisation noch existieren und funktionieren kann.
Oft hatte ich den Drang die Freundschaft zu beenden, doch ich habe immer noch Angst vor der Person, die ich ohne sie bin. Und was noch von mir übriggeblieben ist. Und ob ich je wieder eine Freundin finden kann.
Aber ich bin weiter als vorher. Und dieses Wissen gibt mir Sicherheit. Und wer weiß was noch alles passieren wird.

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