Dienstag, 5. Juni 2018

liebe anne

Anne,

ich vermisse dich. und du kannst dir gar nicht vorstellen wie sehr.
wenn ich dir in die Augen schaue, sehe ich so viel Traurigkeit, dass mein Herz sich zusammenzieht und ich möchte eigentlich nur dein Gesicht in meine Hände nehmen und deine Stirn und Wangen küssen, bis der Schmerz aus deinen Augen weicht.
Es ist so viel passiert zwischen uns und wir haben uns beide so verändert. und doch, wenn ich deine Hand nehme und sie streichle, fühlt es sich so an als wäre alles noch gleich.
ich möchte eigentlich nur, dass du mir sagst, wie stolz du auf mich bist und dass du mich liebst und immer hinter mir stehst.
bestimmt tust du es, aber ich wünsche mir nichts sehnlicher, als es aus deinem Mund zu hören.
du sagtest zu mir, dass du mich verstehst und sagtest es sei das Richtige, dass ich ausgezogen bin.
ich habe keine Angst mehr vor dir, wie ich es vor einigen Monaten noch hatte.
ich habe keine solche Angst mehr vor deinen Tränen und deinen Schmerz wie vor einem Jahr. Und dennoch kann ich nicht sagen, dass ich nicht jedes Mal meine Tränen unterdrücken muss, sobald du anfängst zu weinen oder wir getrennte Wege nach Hause gehen.
Manchmal denke ich mir, dass ich mir wünschte, das alles wäre niemals passiert und wir würden noch zusammenleben und unseren Alltag miteinander teilen.
doch eine andere Stimme sagt mir, dass es wirklich der einzig richtige Weg war. besonders wenn ich sehe, wie sich die Dinge entwickelt haben.
mein großer Bruder lernt jetzt endlich, sich um sein Leben zu kümmern. vielleicht mehr schlecht als recht in deinen Augen, aber er tut wenigstens irgendetwas, anstatt mir andauernd nachzulaufen und damit beschäftigt zu sein, mich zu schützen und zu kontrollieren.
auch mein kleiner Bruder lernt jetzt seinen eigenen Weg zu gehen.
und ja, es bricht mir mein Herz und bringt mich zu weinen, je mehr ich merke, dass er nicht mehr der ist, der vor einem Jahr noch vor mir stand und dass wir uns auch auseinander entwickeln, doch ist das nicht gut für ihn? Dass er jetzt viel freiere Entscheidungen trifft und erwachsen wird mit all den Fehlern, die man begehen muss und all diesen verzwickten wegen, die er gehen muss?
ich träume davon, dass wir in einigen Monaten noch engeren Kontakt haben, auch wenn wir dann nicht mehr in einer Stadt leben. auch wenn uns einige Kilometer und Stunden voneinander trennen.
ja, das alles mach mir so große Angst, dass ich mich manchmal frage, ob ich das wirklich schaffen kann.
mein Therapeut sagte mir, dass ich die erste in der Familie´bin, die diesen Weg gehen wird ohne wieder kehrt zu machen und zurück in deine Arme zu laufen.
Ich verurteile meine große Schwester für diesen Schritt absolut nicht, Hätte ich in dem letzten Jahr schon angefangen zu studieren mit dem Umzug und der Trennung von dir und der gesamten Familie... ich wüsste nicht, wie mein Studium gelaufen wäre. ob ich nicht auch alles hingeschmissen hätte.
es war gut, dass ich in der Zeit wenigsten beruflich auf dem einfach Weg war und "nur einen Firmenjob" hatte, der mir finanzielle Sicherheit gab und immer noch gibt. es war einfacher, dass meine Arbeit so simpel war, sodass ich nicht auch dort überfordert und gestresst wurde.

ich träume davon, dass wir wieder eine Familie werden. eine ganz andere Art von türkischer Familie. aber anders heißt nicht schlechter und ich wünsche mir so sehr, dass du das auch irgendwann so sehen kannst.

ich liebe dich so sehr. und ich vermisse dich
deine Tochter, H

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